Jedes vierte Kind wünscht bessere Schmerzbehandlung

Im Rahmen des internationalen Projekts PAIN OUT haben das Inselspital, Universitätsspital Bern und die Universität Bern Daten zur Schmerzbehandlung von Kindern, die in zwölf verschiedenen Zentren aus vier europäischen Ländern operiert wurden, untersucht. Die Analyse der Daten ergab bei fast jedem vierten Kind Optimierungsbedarf. Das Forschungsteam hat Möglichkeiten entdeckt, den Einsatz opioidhaltiger Schmerzmittel nach der Operation vorsorglich zu vermindern.

Die Optimierung der Schmerzbehandlung in allen Phasen eines operativen Eingriffes ist zu einer öffentlich diskutierten Aufgabe geworden, auch seitdem in den USA Probleme mit der Verschreibung opioidhaltiger Schmerzmittel aufgetreten sind. Dabei spielt die Verminderung der durch Schmerzen verursachten Einschränkungen der körperlichen Aktivität und die Vermeidung schmerzbedingter Schlafstörungen eine Rolle. Zugleich gilt es die zur Verfügung stehenden Medikamente und weiteren Massnahmen so aufeinander abzustimmen, dass allfällige Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen oder starke Müdigkeit auf ein Mindestmass vermindert werden können.
Die vorliegende Studie ging in Bezug auf die Ermittlung von Schmerzen neue Wege. Es wurde nach dem objektiv feststellbaren Schmerz und nach dem vom Patienten erlebten Schmerz gefragt.  (patient-reported outcome). Dazu gehörte u. a. auch, ob sich das Kind, oder wo nötig die Eltern bzw. Betreuungspersonen, in den zurückliegenden ersten 24 Stunden nach der Operation «mehr Mittel gegen Schmerzen» gewünscht hätte. In dieser einfachen Frage sind zahlreiche Dimensionen der Schmerzbehandlung abgebildet.

Grosses Bedürfnis nach einer besseren Schmerzbehandlung
Nach einer Blinddarmoperation wünschten sich ein Viertel (24.8%) aller Kinder mehr Schmerzbehandlung in den ersten 24 Stunden nach der Operation. Bei den Kindern mit einer Mandeloperation war dies ein Fünftel (20.2%). Die Datenanalyse zeigte, dass dieser Wunsch in erster Linie auf schmerzbedingte Schlafstörungen und Bewegungseinschränkungen zurückzuführen war. Die Studienleiterin Prof. Ulrike Stamer erläutert: «Wir haben es hier mit zahlenmässig vielen betroffenen Patienten zu tun. Blinddarm- und Mandeloperationen sind die häufigsten Eingriffe bei Kindern und Jugendlichen überhaupt. Ein knappes Viertel der Studienteilnehmer signalisiert klar den Wunsch nach einer besseren Schmerzbehandlung»

Umfangreiche, multizentrische Studie
Die vorliegende Studie basiert auf dem internationalen Schmerzregister «PAIN OUT infant», das 2015 eingerichtet wurde, um die Qualität des postoperativen Schmerzmanagements bei Kindern zu verbessern. PAIN OUT ist ein EU-gefördertes, multizentrisches Projekt, das an der Universität Jena entwickelt wurde und mittlerweile teilnehmende Zentren weltweit umfasst. In die Studie wurden 472 Kinder mit einer Blinddarmentfernung und 466 Kinder mit einer Mandelentfernung einbezogen. Die überwiegende Mehrzahl stammte nicht aus dem Berner Inselspital. Bei Kindern, die «mehr Mittel gegen Schmerzen» wünschten, wurden häufiger schmerzbedingte Einschränkungen und Nebenwirkungen berichtet. Ebenso erhielten sie postoperativ höhere Opioiddosen (Durchschnittlich 81 gegenüber 50 Mikrogramm Morphinäquivalente pro Kilogramm Körpergewicht).

Überraschendes Resultat zeigt Weg einer Optimierung auf

Die Auswertung der Befragungsdaten und der Vergleich mit den vor und während der Operation angewendeten Medikamenten ergab ein überraschendes Resultat: Es zeigte sich, dass Kinder, bei denen vorsorglich eine Gabe von mindestens zwei verschiedenen Klassen von Nicht-Opioid-Analgetika (NSAR, Metamizol oder Paracetamol) erfolgte, bei der Befragung 24 Stunden nach dem Eingriff deutlich seltener den Wunsch nach mehr Schmerzbehandlung äusserten. Der Direktor und Chefarzt der Universitätsklinik für Anästhesiologie am Inselspital, Universitätsspital Bern, Prof. Frank Stüber zeigt sich optimistisch: «Wir haben mit diesen Studienergebnissen einen vielversprechenden Pfad verorten können. Die vorsorgliche Gabe von mindestens zwei verschiedenen Klassen von Nicht-Opioid-Analgetika scheint eine Möglichkeit zu sein, den Einsatz höherer Opioid-Dosen nach einer Operation zu vermindern.»

Weitere Forschung kann in Angriff genommen werden
Die Auswertung der Daten des «PAIN OUT infant» Registers hat überaus wertvolle Ergebnisse geliefert. Die Kombination der Angaben zur Medikation und der Resultate der Befragung sind wichtige Werkzeuge des Qualitätsmanagements und der Forschung. In einem nächsten Schritt wird es nun darum gehen, die gefundenen Zusammenhänge einer vorsorglichen Schmerzbehandlung mit einem geringeren postoperativen Bedarf genauer zu ergründen. Eine detaillierte Analyse der Dosierungen der verschiedenen Schmerzmittel (Opioide und Nicht-Opioide) kann hier wichtige Hinweise geben. Auch ein Vergleich von Spitälern, die in Bezug auf die von Patienten berichteten Resultate (z.B. Bedürfnis nach Schmerzmitteln) unterschiedlich abschneiden, könnte klinisch interessante Informationen für weitere Verbesserungen der Schmerztherapie bei Operationen im Kindesalter liefern.

 

Experten:

  • Prof. Dr. med. Ulrike Stamer, Oberärztin, Department for Biomedical Research (DBMR), Universität Bern und Universitätsklinik für Anästhesiologie und Schmerztherapie, Inselspital, Universitätsspital Bern 
  • Prof. Dr. med. Frank Stüber, Direktor und Chefarzt, Universitätsklinik für Anästhesiologie und Schmerztherapie, Inselspital, Universitätsspital Bern


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Die Forschenden fragten, ob sich das Kind, oder wo nötig die Eltern bzw. Betreuungsperson, in den zurückliegenden ersten 24 Stunden nach der Operation «mehr Mittel gegen Schmerzen» gewünscht hätte.

Die Studie schloss 472 Kinder mit einer Blinddarmentfernung mit ein. Verglichen wurden verschiedene Methoden der perioperativen Schmerzbehandlung. In dieser Gruppe hätten sich 24.8% mehr Mittel gegen Schmerzen gewünscht.

Es wurden auch 466 Kinder mit einer Mandelentfernung untersucht und befragt. In dieser Gruppe hätten sich 20.2% mehr Mittel gegen Schmerzen gewünscht.

Prof. Dr. med. Ulrike Stamer, Oberärztin, Department for Biomedical Research (DBMR), Universität Bern und Universitätsklinik für Anästhesiologie und Schmerztherapie, Inselspital, Universitätsspital Bern