OPERAM-Studie: Weglassen von Medikamenten ohne Nachteil

Das Europäische Forschungskonsortium OPERAM publiziert heute im British Medical Journal eine grosse, im Rahmen des Europäischen Forschungsprogramms «Horizon 2020» und dem Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) finanzierte Studie, die von einem Forschungsteam des Inselspitals, Universitätsspital Bern und der Universität Bern geleitet wurde. Thema ist die Verringerung der Anzahl Medikamente bei mehrfach erkrankten, älteren Personen. Erstmals konnte für diese Patientengruppe nachgewiesen werden, dass das Weglassen überflüssiger, möglicherweise gar schädigende Medikamente keine negative Auswirkung auf den Gesundheitszustand hat.

Mehrfach-Erkrankungen und damit verbunden eine hohe Anzahl verschriebener Medikamente kommen bei älteren Patientinnen und Patienten häufig vor. Die Folge können Über- und Fehlmedikationen sowie zusätzliche Spitaleinweisungen sein. In vielen Fällen kann die Medikation optimiert werden, indem Arzneimittel abgesetzt, in der Anwendungsdauer verkürzt oder in geringeren Dosen angewandt werden. Die OPERAM-Studie der Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin des Inselspitals, Universitätsspital Bern hat untersucht, ob überflüssige oder möglicherweise schädigende Medikamente bei älteren, mehrfach erkrankten Patientinnen und Patienten ohne negative Auswirkung auf den Gesundheitszustand weggelassen oder reduziert werden können und ob eine solche verbesserte Medikation zu einer Verringerung von Spitaleinweisungen führt.

Verringerung der Medikamente bei mehrfach Erkrankten möglich

Das wichtigste Ergebnis der OPERAM-Studie ist, dass die Anzahl und Dauer der angewandten Medikamente bei mehrfach erkrankten Spitalpatientinnen und -patienten erfolgreich vermindert werden können, ohne dass sich deren Gesundheitszustand verschlechtert. Eine statistisch signifikante Verringerung von Spitaleinweisungen aufgrund der angepassten Medikation konnte allerdings nicht gezeigt werden. Im Rahmen der Studie wurde eine Software als Unterstützung zum Erkennen falscher oder übermässiger Medikamentenverordnungen von Teams aus Ärztinnen und Ärzten sowie Pharmazeutinnen und Pharmazeuten angewendet. Diese Teams machten Empfehlungen zur Optimierung der Medikamentenbehandlung. Bei 86% der untersuchten Patientinnen und Patienten wurden überflüssige und potentiell schädigende Medikamente gefunden. Dr. med. Manuel R. Blum, Erstautor der Studie, erklärt: «Es wurden im Durchschnitt Empfehlungen zu 2,75 ungeeigneten Medikamenten pro Patientin/Patient ausgesprochen, wobei diese in etwa zwei Dritteln der Fälle umgesetzt wurden.»

Der Gesamtleiter der Studie, Prof. Dr. med. Nicolas Rodondi, ordnet die Resultate so ein: «Zum ersten Mal konnten wir in einer multizentrischen, randomisierten Studie zeigen, dass die Polypharmazie bei multimorbiden Patientinnen und Patienten erfolgreich vermindert werden kann, ohne eine Verschlechterung des Gesundheitszustands befürchtet werden muss. Leider wurden nicht alle Empfehlungen umgesetzt. Wir gehen davon aus, dass eine intensivere Beratung sowie eine bessere Einhaltung der Medikationsempfehlungen schlussendlich auch eine Reduktion der Spitaleinweisungen bewirken könnte.»

Grösste Europäische Studie zur Medikation mehrfach Erkrankter

OPERAM war eine randomisierte, multizentrische, klinische Studie im Rahmen des Europäischen Forschungsprogramms HORIZON 2020 finanzierte Studie mit insgesamt neun Partnern, wobei die Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin des Inselspitals Universitätsspital Bern die Gesamtleitung innehatte. Eingeschlossen wurden gut 2000 Personen über 70 Jahre, die mindestens drei chronische Erkrankungen aufwiesen und regelmässig 5 oder mehr Medikamente einnahmen. Die Studienpatientinnen und –patienten wurden nach dem Zufallsprinzip in zwei etwa gleichgrosse Gruppen mit und ohne Medikamentenoptimierung eingeteilt. In der Gruppe mit Optimierung konnte die medikamentöse Behandlung bei 62% der Patientinnen und Patienten verbessert werden. Im Durchschnitt wurde 1 Medikament pro Patientin bzw. Patient reduziert, ohne dass sich der Gesundheitszustand verschlechterte.

Kommentar und Ausblick

Die OPERAM-Studie zeigt, dass 9 von 10 älteren und multimorbiden Patientinnen und Patienten teils unnötige oder ungeeignete Medikamente erhalten, und dass eine standardisierte Evaluation durch ein interdisziplinäres Team die Situation verbessern kann. Prof. Dr. med. Thomas Geiser, Direktor Lehre und Forschung der Insel Gruppe, fasst die Erfahrung so zusammen: «OPERAM hat gezeigt, wie effizient und wirksam die Europäische Forschungszusammenarbeit werden kann, wenn sie gut vernetzt und auf hohem wissenschaftlichem Niveau arbeitet. Die Arbeit in der Klinik wird nachhaltig von OPERAM profitieren.»

 

Experten:

  • Prof. Dr. med. Nicolas Rodondi, Chefarzt an der Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin, Inselspital, Universitätsspital Bern und Direktor des Berner Instituts für Hausarztmedizin (BIHAM), Universität Bern
  • Dr. med. Manuel R. Blum, Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin, Inselspital, Universitätsspital Bern und Berner Institut für Hausarztmedizin (BIHAM), Universität Bern

Links:

Die OPERAM-Studie zeigt, dass 9 von 10 älteren und multimorbiden Patientinnen und Patienten teils unnötige oder ungeeignete Medikamente erhalten, und dass eine standardisierte Evaluation durch ein interdisziplinäres Team die Situation verbessern kann.

(Vergrössern: Bild anklicken) Vergleich der Todesfälle (alle Ursachen) der Gruppe mit reduzierten Medikamenten (Blau) und der Kontrollgruppe (Rot): Zunächst ohne Unterschied und nach 12 Monaten tendenziell eher besseres Ergebnis bei reduzierten Medikamenten. Abbildung aus der Publikation der OPERAM Resultate, BMJ, 2021

Die Studie bezog ältere Menschen mit mehreren chronischen Erkrankungen mit ein. Es zeigte sich ein erhebliches Potentzial für Einsparungen und zugleich einer Verbesserung der Situation für die älteren Menschen.

Dr. med. Manuel R. Blum, Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin, Inselspital, Universitätsspital Bern und Berner Institut für Hausarztmedizin (BIHAM), Universität Bern

Prof. Dr. med. Nicolas Rodondi, Chefarzt an der Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin, Inselspital, Universitätsspital Bern und Direktor des Berner Instituts für Hausarztmedizin (BIHAM), Universität Bern