Verarbeitung emotionsfreier Körpersprache im Hirn analysiert

Im Rahmen einer umfangreichen internationalen Forschungsarbeit wurden die Hirnnetzwerke für die Wahrnehmung von emotionaler und emotionsfreier Körpersprache analysiert. Die Ergebnisse zeigen eine massgebliche Beteiligung des limbischen Systems an der Erkennung emotionsfreier, neutraler Körpersprache.

Mit den Auflagen zu «social distancing» und dem Tragen von Masken befinden wir uns auf Neuland: Aufgrund der halb verdeckten Gesichter müssen wir die Augenausdrücke und wegen der neuen Distanz die Körpersprache unserer Mitmenschen neu lesen und interpretieren lernen. Die Erforschung des Lesens von Körpersprache ist deshalb hoch aktuell und relevant. In der Vergangenheit ist dem Bereich der emotionalen Körpersignale und deren Verarbeitung sehr viel Aufmerksamkeit geschenkt worden. Dagegen blieben die Grundlagen der Erkennung emotionsfreier, neutraler Körpersprache unklar.

Eine einleuchtende Versuchsanordnung

Die Studie eines internationalen Forschungsteams um Arseny Sokolov der Universitären Neurorehabilitation an der Universitätsklinik für Neurologie des Inselspitals, Universitätsspital Bern hat erstmals die unterschiedlichen Hirnaktivitäten bei der Verarbeitung emotionaler und neutraler Körpersprache systematisch untersucht. Als Basis diente die schematisierte Bewegung eines Anklopfens. Leuchtpunkte markierten Kopf, Schulter, Ellbogen und Handelemente, die unterschiedliche emotionale und neutrale Arten von Klopfen ausführten. Die Verarbeitung dieser Animationen im Hirn wurde mittels Magnetresonanztomografie untersucht.

Was passiert bei der Verarbeitung des emotionsfreien Signals im Hirn?

Die überraschenden Ergebnisse zeigen, dass das limbische System an der Erkennung neutraler Körpersprache massgeblich beteiligt ist. «Die Kommunikation zwischen der Amygdala und der Inselregion in der rechten Gehirnhälfte kann dazu genutzt werden, vorherzusagen ob der neutrale Ausdruck richtig erkannt wird», sagt der Erstautor der Publikation Arseny Sokolov. «Bisher wurde angenommen, dass diese Bestandteile des limbischen Systems ausschliesslich zur Wahrnehmung von Emotionen beitragen. Die neuen Befunde legen nahe, dass die Verarbeitung emotionaler und neutraler Signale im limbischen System stärker verzahnt ist als bisher vermutet», ordnet Prof. Claudio Bassetti, Klinikdirektor und Chefarzt der Universitätsklinik für Neurologie am Inselspital die neuen Erkenntnisse ein.

In der Tradition der Berner kognitiven Neurologie

Die Studie ist in der renommierten Fachzeitschrift «Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA» erschienen. In ersten Reaktionen wird sie lebhaft diskutiert und zitiert. Das Ergebnis dieser Studie erweitert die Konzeptualisierung dieser Gehirnregionen und ihres Zusammenspiels auf die Verarbeitung sozialer Signale ohne emotionalen Inhalt. Dies kann weitreichende Auswirkungen auf das bessere Verständnis neuropsychiatrischer Erkrankungen haben, die durch eine Fehlinterpretation neutraler Signale gekennzeichnet sind. Dazu zählen z.B. Depressionen, Schizophrenie, aber auch Schädelhirntrauma. Die Ergebnisse eröffnen ein breites neues Forschungsfeld zur Verarbeitung emotional neutraler Signale im Gehirn. Diese Tätigkeit setzt die lange Berner Tradition der Erforschung innovativer neurologischer Fragestellungen an der Universitätsklinik für Neurologie fort.

 

Experten:
Prof. Dr. med. Cladio Bassetti, Klinikdirektor und Chefarzt der Universitätsklinik für Neurologie am Inselspital, Universitätsspital Bern

PD Dr. med. Dr. phil. Arseny Sokolov, Oberarzt, Stv. Leiter Universitäre Neurorehabilitation an der Universitätsklinik für Neurologie, Inselspital, Universitätsspital Bern

Kontakt:
Insel Gruppe AG, Kommunikation:
Tel. +41 31 632 79 25,
kommunikation@STOP-SPAM.insel.ch

 

Publikation:

Brain circuits signaling the absence of emotion in body language.  Arseny A. Sokolov, Peter Zeidman, Michael Erb, Frank E. Pollick, Andreas J. Fallgatter, Philippe Ryvlin, View ORCID ProfileKarl J. Friston, and Marina A. Pavlova

PNAS August 25, 2020 117 (34) 20868-20873; first published August 6, 2020; https://doi.org/10.1073/pnas.2007141117

PD Dr. med. Dr. phil. Arseny Sokolov, Oberarzt, Stv. Leiter Universitäre Neurorehabilitation an der Universitätsklinik für Neurologie, Inselspital, Universitätsspital Bern.

Prof. Dr. Claudio Bassetti, Klinikdirektor und Chefarzt Universitätsklinik für Neurologie

Bei «neutralem» Klopfen wird die Aktivität in der Inselregion (INS) von der Amygdala (AMY) und dem Kleinhirn (CB) gehemmt. Die Hemmung durch die Amygdala kann zur Vorhersage der Erkennung neutraler Körpersprache bei den Studienteilnehmern genutzt werden.