Viszeralchirurgie: Darmbakterien verschlimmern Bauchverwachsungen

Einem multidisziplinären, internationalen Forschungsteam um Prof. Daniel Candinas und Prof. Deborah Stroka aus dem Inselspital und der Universität Bern ist ein wichtiger Nachweis gelungen: Die Forschenden haben die Ausgangszellen und den zentralen Auslöser bei der Bildung von Verwachsungen im Bauch nach Operationen mit Verunreinigungen durch Darmbakterien identifizieren können. Damit stehen erste, vielversprechende Ansatzpunkte für eine mögliche Therapie zur Verfügung.

Viele Operationen im Bauchbereich können heute minimal invasiv vorgenommen werden. Trotzdem bleiben wichtige, lebensrettende Operationen im Bauch weiterhin mit einem grösseren Eingriff verbunden. Nach diesen Operationen können sich Verwachsungen bilden, die erhebliche Folgeprobleme verursachen. Frühere Arbeiten haben zeigen können, dass Verwachsungen bei sterilen Eingriffen auf Makrophagen zurückgehen, die auf die Öffnung des Bauchraumes überreagieren. In ihrer neusten Arbeit in Nature communications publiziert die Forschungsgruppe um Prof. Dr. med. Daniel Candinas nun Resultate zu denjenigen Operationen, bei denen Verunreinigungen durch Darmbakterien auftreten.

Verunreinigungen mit Darmbakterien führen zu stärkeren Verwachsungen

Bei verschiedenen Operationen (z.B. Blinddarm, Darmtumoren) können Darmbakterien in den Bauchraum gelangen. Solche Verunreinigungen ziehen stärkere Verwachsungen nach sich. Das Forschungsteam hat nun erstmals zeigen können, auf welche Mechanismen diese Verwachsungen zurückgehen und welches die Auslöser des übermässigen Zellwachstums sind. Interessanterweise funktioniert die Entstehung von Verwachsungen bei Verunreinigungen durch Darmbakterien anders als nach «sterilen» Operationen.

Mesothelzellen als Ausgangspunkt

Ausgangspunkt der Verwachsungen sind Mesothelzellen. Diese sind Teil des Reparaturmechanismus, der verletztes Gewebe im Bauchraum wieder Instand stellen soll. Dr. Joel Zindel, Erstautor der Studie erklärt: «Die Entzündung bringt Mesothelzellen dazu, ihr Verhalten zu ändern. Anstatt eine glatte Oberfläche zu bilden, die eine reibungslose Bewegung des Darms gewährleisten sollte, produzieren die Zellen nun sehr viel Narbenmaterial. Es scheint, die Entzündung, die u.a. auf die Verunreinigung zurückgeht, ist für dieses Umprogrammieren der Zellvermehrung der Mesothelzellen verantwortlich.» Die Suche galt deshalb dem «Programmierer», der für die Veränderung verantwortlich ist.

EGFR ist Hauptursache des Fehlverhaltens der Mesothelzellen

Bei der Suche nach dem Auslöser konnte der «Epidermal Growth Factor Rezeptor» (EGFR) als entscheidender, aktiver Faktor bestimmt werden. Im Tierversuch wurde gezeigt, dass EGFR die treibende Kraft ist, wenn normale Mesothelzellen ihre Rolle ändern und Verwachsungen zu bilden beginnen. Der Prozess wird durch die Entzündungsreaktion nach der Verunreinigung mit Bakterien gestartet. EGFR ist dabei kein Unbekannter: Aus der Krebsforschung ist er bekannt als wichtiger Faktor, der das Wachstum von Tumoren antreibt.

Der Durchbruch: Hinweise aus dem Mausmodell am Menschen bestätigt

Die umfangreiche Studie blieb nicht beim Tiermodell stehen, sondern unternahm den Versuch, den neu entdeckten Mechanismus zur Entstehung von Verwachsungen beim Menschen nachzuweisen. Tatsächlich fanden die Forschenden hier die identischen Prozesse. Sie stellten dazu Patientinnen und Patienten mit Darmbakterien im Bauchraum (geplatzter Blinddarm) solchen mit Operationen ohne Vorbelastung durch Verunreinigungen gegenüber.

Ein möglicher Hebel gegen Verwachsungen ist gefunden

Das Forschungsteam um Prof. Candinas ging von Beginn weg von einem translational orientierten Forschungsansatz aus. Gesucht waren Massnahmen, die in der Klinik zur Reduktion von Verwachsungen nach Operationen im Bauch zur Anwendung kommen sollten. Prof. Daniel Candinas, Leiter der Studie hält fest: «Mit der Identifikation der Mesothelzelle als Ausgangspunkt und EGFR als wichtigster Treiber von überschiessender Narbenbildung ist ein grosser Schritt getan. Im Experiment wurden Medikamente eingesetzt, die in der Onkologie den Tumorwachstumsfaktor EGFR bremsen. Tatsächlich konnte eine Reduktion der Verwachsungen erreicht werden, allerdings erst bei sehr hohen Dosierungen.»

Bis zum therapeutischen Einsatz sind noch wichtige Fragen zu klären

Noch steht mit den hier publizierten Forschungsergebnissen erst ein grobes Gerüst einer möglichen künftigen Bekämpfung von Verwachsungen nach Bauchoperationen mit Verunreinigungen. Insbesondere wird noch zu wenig verstanden, wie genau Bakterien eine Hochregulierung von EGFR auf Mesothelzellen bewirken. Weiter wird nach Wegen gesucht, den Einsatz der bekannten EGFR-Hemmer aus Krebstherapien für die Anwendung nach Bauchoperationen anzupassen. Weitere Studien sowohl auf molekularbiologischer Ebene, wie auch in der Klinik sind notwendig, um griffige Therapien gegen Verwachsungen nach Operationen im Bauch zu etablieren.

 

Expertinnen und Experten:

  • Dr. med. Joel Zindel, Stv. Oberarzt Viszerale Chirurgie, Universitätsklinik für Viszerale Chirurgie und Medizin, Inselspital, Universitätsspital Bern
  • Prof. Dr. rer. nat. Deborah Stroka, DBMR, Laboratory for Visceral and Transplantation Surgery, Universität Bern  
  • Prof. Dr. med. Daniel Candinas, Klinikdirektor und Chefarzt Viszerale Chirurgie und Medizin, Inselspital, Universitätsspital Bern

Links:

Prof. Dr. med. Daniel Candinas und Team während einer Operation: Wichtige, lebensrettende Eingriffe im Bauchbereich können Verwachsungen zur Folge haben. Foto: Janosch Abel, © Insel Gruppe

Verwachsungen (Adhesion) nach Operation im Bauchbereich: Hier eine Adhäsion mit einer partiellen Einschnürung des Dünndarms (Obstructed small intestine). Foto: J. Zindel, © Insel Gruppe

Forschungsteam: Studienleiter Prof. Dr. med. Daniel Candinas und Erstautor Dr. med. Joel Zindel im Gespräch bei der Vorbereitung einer Operation Foto: J. Abel, © Insel Gruppe

Dr. med. Joel Zindel, Stv. Oberarzt Viszerale Chirurgie, Universitätsklinik für Viszerale Chirurgie und Medizin, Inselspital, Universitätsspital Bern Foto: Janosch Abel, © Insel Gruppe

Prof. Dr. med. Daniel Candinas, Klinikdirektor und Chefarzt Viszerale Chirurgie und Medizin, Inselspital, Universitätsspital Bern Foto: J. Abel, © Insel Gruppe