Covid-19-Forschung: Verlauf zuverlässig vorhersagen

Das Inselspital, Universitätsspital Bern und die Universität Bern starten derzeit die weltweit erste multizentrische, internationale Studie zur KI-gestützten Prognose schwerer Verläufe bei Covid-19. Die Forschungsarbeit verwendet Künstliche Intelligenz zur Auswertung umfangreicher klinischer, bildmorphologischer und Labordaten. Die vom Schweizerischen Nationalfonds geförderte Studie soll zuverlässige Prognosen erlauben, ob in einem konkreten Fall mit einem schweren Covid-19-Verlauf zu rechnen ist.

Seit dem ersten Auftreten von Covid-19 haben sich unsere Kenntnisse bezüglich SARS-CoV-2 und den verschiedenen Ausprägungen der durch das Virus hervorgerufenen Erkrankung vervielfacht. Bis heute fehlen klare Vorstellungen darüber, warum bei einigen Patientinnen und Patienten nur leichte Symptome auftreten, während bei anderen schwere (akute oder chronische), schlimmstenfalls letale Verläufe zu behandeln sind. Die vom Schweizerischen Nationalfonds im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms «Covid-19» (NFP 78) geförderte Studie soll diese Fragestellungen nun angehen.

Neuer Forschungsansatz

Das international aufgestellte Team aus dem Inselspital, Universitätsspital Bern, der Universität Bern, der Universität Parma (IT) und der Yale Universität (USA) arbeitet an einem auf Künstlicher Intelligenz (KI) basierenden System. Durch die internationale Vernetzung wird auch das Problem der zu geringen Datenmenge angegangen.

Das neue KI-System verarbeitet Informationen aus Thorax-CT, konventionellen Röntgenbildern, Laborparametern und klinischen Daten. Das System soll in der akuten Phase die Sieben-Tage-Progression auf der Basis des aktuellen Zustands einer Patientin oder eines Patienten vorhersagen. Weiter sollen Aussagen zur mittel- und langfristigen Entwicklung und Chronizität der Erkrankung ermöglicht werden.

Durch den KI-basierten Ansatz mit komplexen Inputdaten soll der Verlauf einer Erkrankung besser verstanden werden. Ziel des Projekts ist eine schnellere und genauere prognostische Gruppierung von Covid-19-Patienten auf der Grundlage des vorgeschlagenen KI-Systems. Diese würde eine schnellere und angemessenere Versorgung der Covid-19-Patientinnen und -Patienten erlauben.

Verbindung von «Multi-Omics» und KI

Neu am vorliegenden Projekt ist der Einbezug umfangreicher biologischer Grundlagendaten, der sogenannten «Omes»1). Die Analyse der sehr umfangreichen Daten mittels KI erlaubt, so die Hypothese der Arbeit, das Aufspüren zuvor unbekannter Zusammenhänge zwischen physiologischen, bildmorphologischen und pathologischen Sachverhalten. Die Forschenden hoffen, auf diese Weise neue Biomarker zu identifizieren, die für die Beurteilung der Entwicklung von Covid-19 ausschlaggebend sind.

Der Bioinformatiker und KI-Experte Prof. Mauricio Reyes hält fest: «Wir müssen Wege finden, um das Funktionieren unserer Deep Learning-Systeme unabhängig von bestimmten Spitalzentren und Gerätetypen bzw. Analysemethoden sicher zu stellen. Mit unserem Projekt stossen wir in zwei Richtungen vor: Wir verwenden die Daten von drei weltweit führenden Covid-Forschungszentren und vergrössern so die Datenmenge. Weiter integrieren wir CT- und klassische Röntgenaufnahmen mit einem Multi-Omics-Ansatz und verbreitern so die zugrundeliegende Information in fachlicher Hinsicht. So hoffen wir zu neuen, zuverlässigeren und schnelleren Prognosen eines Covid-Verlaufes zu kommen.»

Grosse Datensätze ermöglichen ausreichende Lernumgebung für die Algorithmen der KI

Eines der zentralen Probleme beim Einsatz von KI in der Medizin ist der limitierte Zugang zu Daten. Algorithmen sind auf grosse Stichprobenmengen angewiesen, um qualitativ gute Resultate zu liefern. Weiter müssen unterschiedliche Systeme in den Lernprozess einfliessen können, sonst können am Schluss nur limitierte Aussagen zu einem bestimmten Gerätetyp oder einen bestimmten Standort gemacht werden. Aus diesem Grunde schliessen sich das Inselspital, Universitätsspital Bern und die Universität Bern mit den Universitäten Parma (IT) und Yale (USA) zusammen.

Es gibt bisher nur wenige Studien mit einem KI-Multi-Omics-Ansatz zu Covid-19. Im Vergleich zu diesen Studien wird das Forschungsteam einen deutlich umfangreicheren Datensatz verwenden. Neu ist auch der Ansatz, computertomografische und konventionelle Röntgenbilder zu kombinieren, um den abgebildeten Verlauf der Erkrankung besser abschätzen zu können. Weiter wird diese Studie erstmals mehrere Zentren verbinden (multizentrische Studie). Damit werden die Resultate voraussichtlich robuster und allgemein übertragbar.

Nächste Schritte

Derzeit ist ein intensiver Prozess der Datenkollektion im Gange. Der Studienleiter des KI-Multi-Omics-Projektes, Prof. Dr. Alexander Pöllinger erläutert: «Unser KI-Multi-Omics-Projekt adressiert auch das Problem begrenzt verfügbarer Informationen, um die Covid-19-Entwicklung in einem angemessenen Ansatz zu untersuchen. Hierzu integrieren wir grundsätzlich alle verfügbaren Informationsquellen von drei grossen internationalen Krankenhauszentren.»

Berner Forschung und CAIM

Weitere Berner Forschende haben KI bei der Entwicklung neuer Methoden der Covid-19-Diagnostik eingesetzt (z.B. KI-Röntgenbildanalyse erkennt Covid-19 zuverlässiger). Weltweit sind Bemühungen im Gange, grosse Datenzentren effizienter zu vernetzen und virtuelle Plattformen zu schaffen. Seit Jahren wird am Medizinalstandort Bern an einer konsequenten Förderung und intensiven Vernetzung der KI gearbeitet. Vorläufiger Höhepunkt ist die Gründung des Centers for Artificial Intelligence in Medicine (CAIM) am 19. März 2021. Besuchen Sie die Website (Anmeldung obligatorisch)

 

1)  Overview multi-omics methodology: and explanation in general: Multiomics

 

 

Experten:

  • Prof. Dr. med. Alexander Pöllinger, Leitender Arzt, Universitätsklinik für Diagnostische, Interventionelle und Pädiatrische Radiologie, Inselspital, Universitätsspital Bern
  • Prof. Dr. Mauricio Reyes,  ARTORG Center for Biomedical Engineering, Universität Bern

 

Kontakt

  • Insel Gruppe AG, Kommunikation: +41 31 632 79 25, kommunikation@insel.ch

 

Links:

KI Mustererkennung, Lernprozess der Algorithmen

Multi-Omics Ansatz der Studie. Komplexe Daten, bestehend aus CT-, Röntgen-Daten, klinischen und Labordaten dienen dem AI Algorithmus als Grundlage für die Prognose des akuten (7-Tage) und chronischen Verlaufs.

Segmentierung der Lungenveränderungen von COVID-19 Patienten. Mit diesem Datensatz wird das AI-System «trainiert».

Prof. Mauricio Reyes und Prof. Alexander Pöllinger analysieren CT Bilder einer Lungenuntersuchung.